Donnerstag, 30. Oktober 2008

Im Land der 3000 Kartoffelsäcke

Der Spruch ist alt und gut, wenn auch nicht verbürgt: «Gebt mir eine Million Franken und ich mache aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat", soll der Werber Rudolf Farner einst gesagt haben. Lebte er heute in den USA und müsste einen Präsidenten ins Weisse Haus hieven, der notwendige Betrag für den politischen Erfolg hätte ein paar Nullen mehr. Sicher eine Milliarde $ Werbegelder haben die Präsidentschafts-Kandidaten für ihren Wahlkampf ausgegeben, einige Experten sprechen gar von 3 Milliarden.
3'000'000'000 Dollar...das ist in etwa der Jahres-Etat des Kantons Luzern.
Absoluter Krösus ist Barack Obama. Der Hoffnungsträger der Demokraten stellt alles und alle in den Schatten, wenn es um Spendengelder geht. Im Schlussspurt vor dem Wahltag hat er vier mal mehr Geld zur Verfügung als John McCain - und er gibt es auch für ungewohnte Formate aus. Gestern Abend liess er zur besten Sendezeit auf vier nationalen Kanälen einen halbstündigen Werbespot schalten - eine Mischung aus Dokumentarfilm und Politwerbung. Bereits haben die Experten dem neuen Genre einen Namen gegeben: infomercial, eine Wortschöpfung aus Information und commercial (Werbe-Spot).

Man stelle sich ähnliches in der Schweiz vor. Der Aufschrei wäre gewaltig und die Wirkung vielleicht gar kontraproduktiv. Viel Geld zu haben hilft zwar schon, es offen zu zeigen aber eher nicht. In den USA ist das ganz anders. Hier werden regelmässig die Spendeneinnahmen der Kandidaten veröffentlicht. Wer auf der Liste oben steht, wird bewundert und erhält noch mehr, wer wenig hat, ist politisch schon fast abgeschrieben.

John McCain hat dieser Regel bis jetzt getrotzt. Vor einem Jahr stand seine Kampagne vor dem Bankrott - und dann hat er die republikanische Nomination doch noch geschafft. Jetzt ist der (persönlich im übrigen steinreiche) Senator aus Arizona wieder der finanzielle "underdog" und hofft auf eine zweite Ueberraschung. Nötig ist allerdings schon fast ein Wunder. Barack Obama ist eben weit mehr als ein mit Dollarnoten gefüllter Kartoffelsack.

Ein Bettel-Mail von Obama

Das war eine Überraschung: In meiner Inbox lag heute ein E-Mail von Barack Obama! "It's in your hands, Beat!", steht in der Betreffszeile. Wenn man das Mail öffnet, heisst es: "Beat: The next 6 days are going to be the toughest we've seen, and I need your support to reach as many voters as possible!" Im personalisierten Massenmail gleich mitgeliefert: ein Link, bei dem man $5 oder besser mehr spenden soll.

Kein Wunder braucht Barack Obama Geld. Er gibt es auch aus wie kein Präsidentschaftskandidat vor ihm. Erst gestern schaltete er auf 5 Fernsehsendern einen halbstündigen Werbespot. Zusätzlich und auch auf allen andern sind zahlreiche kürzere Spots zu sehen. Obama - wohin das Auge reicht. Auch der übrige Wahlkampf kostet Millionen.

Was erstaunlich ist: Obama hat vor ein paar Tagen bereits seine Frau Michelle ein ähnliches Mail schicken lassen, diverse Obama-Angestellte waren's zuvor. Dabei hab ich mich bloss für die Wahl-Schlussveranstaltung des Präsidentschaftskandidaten mitten in einem Park von Chicago angemeldet. Nicht etwas als Supporter, notabene, sondern ausdrücklich als Journalist, erst noch als einer aus der Schweiz. Gleich eine doppelte Pflicht, neutral zu sein, und es auch zu bleiben.

Das stört das Obama-Wahlteam offenbar nicht. Mich ärgert's hingegen ein wenig. Ich lösche die Mails geduldig, ohne Geld zu spenden.

Etwas anderes bleibt mir wohl nicht übrig im modernsten Wahlkampf aller Zeiten.

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Swiss Democracy

Kein Land ist wahrscheinlich so stolz auf seine Demokratie wie die Schweiz (abgesehen von den USA). Doch wenn's ernst wird, scheint weniger der mündige Bürger oder der mündige Volksvertreter als der Schweizer Psalm zum Tragen zu kommen: "Betet freie Schweizer, betet."

Denn das Rettungspaket für die UBS wurde lediglich von der Finanzkommission bewilligt. Dabei ist es grösser als der amerikanische Bailout, berücksichtigt man die Grösse beider Länder. Und sogar in absoluten Zahlen erhält die UBS deutlich mehr Unterstützung als jede einzelne US-Bank maximal.

Doch während in den USA der Kongress über das US-Rettungspaket entschied, während die Parlamentarier von Key Largo/Florida bis Wasilla/Alaska in Washington ausharrten, war eine kurzfristige Sondersession in der 238mal kleineren Schweiz nicht möglich. Offenbar konnte die UBS den Zeitpunkt ihres Hilferufs selbst bestimmen und so kurzfristig ansetzen, dass man auf das Parlament nicht auch noch Rücksicht nehmen konnte.

Wenn Gefahr in Verzug ist, kann Notrecht angewandt werden. Aber gab es wirklich kein Zeitfenster, um der Schweizer Demokratie Genüge zu tun?

Samstag, 18. Oktober 2008

Im Staatsfonds-Gründungsfieber

Die Abu Dhabi Investment Authority (875 Milliarden Dollar, gegründet 1976), der Government Pension Fund Global aus Norwegen (346 Milliarden Dollar, gegründet 1990) und die Government of Singapore Investment Corporation (330 Milliarden Dollar, gegründet 1981) waren bis jetzt die grössten Staatsfonds der Welt, im englischen Sprachraum auch Souvereign Wealth Funds genannt.

Staatsfonds sind Fonds, deren Kapital - total geschätzte 3,5 Billionen Dollar - im Eigentum des Staates ist. Bislang haben vor allem erdöl- und erdgasreiche Staaten ihre Einnahmen in solchen Fonds parkiert. Und einige dieser Fonds haben in der Finanzkrise schon Geld für Banken in Not springen lassen - die GIC beispielsweise im Fall der UBS!

Nicht alle Staaten hatten bislang solche Fonds. Vor allem die USA (haben zwar den Alaska Permanent Fund, 42 Milliarden, Erdöl, aber der gehört Sarah Palins Bundesstaat) und Europa haben den Staatsfonds aus Asien, Arabien, Russland und Südamerika häufig Intransparenz betreffend Anlagestrategie und bezüglich ihrer möglichen politischen Motivation vorgeworfen.

Nun ist man endlich auf Augenhöhe: Die USA speisen ihren Staatsfonds mit 700 Milliarden Dollar (und deklassieren damit Norwegen und Singapur!), verschiedene europäische Staaten investieren Milliarden in Banken und Bankaktien, ja selbst die Schweiz hat seit dieser Woche einen milliardenschweren Staatsfonds - faktisch wenigstens. SNB und UBS sei Dank!

Wenn die Finanzminister und Regierungschefs dieser Welt in Bälde, wie vorgesehen, über Verhaltenskodizes von Staatsfonds diskutieren werden, dürften diese Gespräche einen etwas anderen Gang nehmen, als dies, sagen wir, vor zwei Jahren der Fall gewesen wäre. Wetten?

Freitag, 17. Oktober 2008

Wilder Haufen gegen straff geführte Truppe

Bobby ist im Stress. Sie (ja, Bobby ist eine Frau) organisiert im Auftrag der "Veteranen für McCain" eine grosse Debatten-Party im Orleans-Casino von Las Vegas. An die 200 Leute kommen, schauen sich hier gemeinsam die letzte TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten an....und alle wollen etwas von Bobby: wo gibt's noch mehr Stühle? Wo kriege ich ein Glas Wein? Hast du Heather schon gesehen?
Und mitten im grössten Rummel will auch noch dieser Journalist aus der Schweiz Interviews machen . No problem for Bobby! Sie nimmt mich an der Hand und stellt mich jeder Menge Leute vor. Alle geben bereitwillig und freundlich Auskunft: der pensionierte Brigadegeneral, die Blue-Star-Mom (eine Mutter, deren Kind Kriegsdienst leistet), der Vietnam-Veteran im Rollstuhl; einfache Parteimitglieder und die Parteipräsidentin der Republikaner in Nevada, der freiwillige Helfer und die Gouverneurin von Hawaii, die heute Ehrengast ist. Alle sagen, was sie denken, geben Antworten auf meine Fragen und wollen wissen, wie die Leute in der Schweiz die Wahlen in den USA sehen.
Ich könnte Aufnahmen gleich für mehrere Sendungen machen. Welch ein Unterschied zu den Demokraten!
Nett sind die Leute zwar auch auf demokratischen Veranstaltungen und in den Büros der Obama-Kampagne - bloss sagen darf niemand etwas. Alles ist hier streng geregelt, bis ins kleinste Detail durchorganisiert, nichts wird dem Zufall überlassen. Wenn ein Reporter kommt, herrscht Alarmstimmung; nur wenige, chronisch überlastete Auskunftspersonen dürfen mit Journalisten sprechen. Wenn man sie endlich vor's Mikrofon kriegt, lösen sie die Aufgabe perfekt, geben durchdachte Antworten in druckreifen Sätzen. Das ist alles hoch professionell, wahrscheinlich erfolgreich - und ziemlich blutleer. Vielleicht ist es aber auch ein Hinweis, dass Barack Obama ein guter Oberkommandierender der Streitkräfte sein wird. Die Wahlkampftruppe hat er jedenfalls fest im Griff, während der alte Soldat McCain einen ziemlich chaotischen Haufen befehligt.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Wo geht's hier zur Party?


"The party is over", sagt die Chefin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi (D, Kalifornien), derzeit häufig in die Mikrophone. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Sie meint die Party an der Wall Street, nicht jene in Washington D.C. Dort schreiten die Vorbereitungen für die ganz grosse Party weiter voran, damit der nächste US-Präsident im Januar 2009 dann mit viel Pomp und Steuergeldern gefeiert werden kann...

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Würden Sie diesem Mann Geld leihen?

Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind wie die Börse: Kurzatmig und schwer vorhersehbar. Dennoch macht es den Anschein, als ob die Finanzkrise einen Gezeitenwechsel markiert, als ob sich Obama langsam aber stetig von John McCain absetzen würde. Zu kurzatmig war McCains Agieren und die TV-Comedy-Shows, welche das Wahlkampfchaos manchmal wie in einem Brennglas bündeln, fanden in McCains Reaktionen Stoff zum Spotten in Hülle und Fülle. Auch die Umfragen der letzten Tagen zeigen, dass sich Barack Obama vor allem in sog. Battleground States, jenen Staaten, die traditionell umkämpft sind, von John McCain absetzt.

Doch auch ohne Umfragezahlen ist die schwierige Lage von McCain augenfällig. Der Republikaner spielt zunehmend auf den Mann; Sarah Palin greift rhetorisch in die unteren Schubladen und wirkt fast ein wenig vulgär. Beide versuchen kalten Kaffee, der nie heiss war, aufzuwärmen und statt der Wirtschaft Obamas zweiten Vornamen "Hussein" zu thematisieren. Kleinkariert und mit schriller Stimme umwerben sie "Small Town America", aber "Small Town America" hat andere Sorgen: Zum Beispiel einen Kredit für ein Auto zu erhalten.

"Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?", hiess es auf einem Wahlplakat der Demokraten unter dem Konterfei von Richard Nixon im Präsidentschaftswahlkampf 1960. Heute müsste die Frage unter dem Bild McCains lauten: Würden Sie diesem Mann Geld leihen?

4.November ist schon im Oktober

Noch bleiben 26 Tage bis zu den Präsidentenwahlen. Die Herren Obama und McCain, ihre beiden Vizes und zahllose Anhänger jagen von einem Wahlkampftermin zum andern, die Propagandamaschinen der beiden Parteien laufen heiss und noch steht auch die dritte und letzte Fernsehdebatte der beiden Kandidaten aus. Ein riesiger Aufwand - vielleicht für die Katz. Denn auch in den USA geben immer mehr Wählerinnen und Wähler ihre Stimmzettel vorzeitig ab.

Early Voting heisst das hier und möglich ist es in 36 der 50 Bundesstaaten.

In Ohio zum Beispiel, wo es vor vier Jahren am Wahltag zu extrem langen Schlangen vor den Wahllokalen kam und anschliessend zu Klagen von Stimmbürgern, die nicht mehr rechtzeitig wählen konnten, sind die Wahllokale seit letzter Woche schon offen - und der Andrang ist gross.

Ist also alles schon entschieden lange vor dem eigentlichen Wahltag? Barack Obama wäre es wohl recht, denn er führt nach allen Umfragen sowohl landesweit, wie auch in wichtigen Schlüsselstaaten, z.B. eben in Ohio.

Doch gemach: Erstens geben höchstens ein Drittel der Stimmenden ihre Wahlzettel frühzeitig ab und zweitens sind das meistens überzeugte Parteimitglieder. Wer noch unsicher ist, wartet bis zum letzten Moment. Also in die Hosen, ihr Kandidaten und Parteiaktivisten, der Schlussspurt bleibt euch nicht erspart -und auch uns mehr oder weniger distanzierten Zuschauer nicht.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Wann war das erste Mal?

Die Finanzkrise ist Thema Nummer 1. Dass da ziemlich viel schief gegangen ist, sieht und erkennt derzeit jede(r). Ausgebrochen ist die Krise allerdings schon früher, zuerst in den USA, später hat sie auch die Finanzindustrie und die Wirtschaft anderer Staaten erfasst.

Die Krise ist auch Thema Nummer 1 an der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank hier in Washington D.C. Im Medien-Center fragte mich heute Han Koch von der niederländischen Tageszeitung Trouw, wann ich zum ersten Mal die Krise wirklich als Krise wahrgenommen habe. Ich denke, es war im Frühling 2007. Han war schon etwas früher skeptisch - und hat das auf seinem Blog auch so geschrieben.
http://www.trouw.nl/opinie/weblogs/article1874088.ece/Reageer___Wanneer_dacht_u__dit_gaat_niet_goed_.html

Die Reaktion der Leserschaft war gross. Mal schauen, ob die Schweizer Blogger sich ebenfalls an ihr "erstes Mal" in der Sache Finanzkrise erinnern. Kommentare bitte hier! ;-)

Montag, 6. Oktober 2008

Der September-Präsident

September - diesen Monat würde US-Präsident George W. Bush wohl gerne aus dem Kalender streichen. Oder zumindest aus seinem Gedächtnis oder aus den Annalen seiner Präsidentschaft. Kein Monat des Jahres hat seine Amtszeit stärker geprägt als zwei September.

Zuerst die Terroranschläge am 11. September 2001, die die USA in den Irakkrieg führten, der bis jetzt Milliarden gekostet hat. Und im September 2008 das Einbrechen des US-Finanzsystems. In beiden Fällen machte George Bush nicht die beste Falle, finde ich.

David Rothkopf, Autor des Buchs "Superclass: The Global Power Elite and the World They Are Making", hat in der Washington Post eine lesenswerte Analyse verfasst.* Er kommt zum Schluss: Die Ereignisse im September 2008 sind für die USA sogar noch einschneidender als jene im September 2001.

Rothkopfs Begründung: "That's because while 9/11 changed the way we view the world, the current financial crisis has changed the way the world views us. And it will also change, in some fundamental ways, the way the world works."


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* Das Archiv der Washington Post Online ist leider nicht frei zugänglich. Aber man kann ein Gratis-Abo lösen, dann im Archiv den Artikel mit dem Namen des Autors suchen...

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Alter schützt vor Torheit nicht

Wer durch amerikanische Zeitungen blättert, sieht derzeit eine ganze Armada von teuren, ganzseitigen Anzeigen aus der Finanzindustrie. Banken, Versicherungen und andere Marktteilnehmer versuchen verzweifelt, das Vertrauen der Kundschaft zurückzugewinnen. Keine einfache Sache in diesen Tagen!

Wie sollte man das also tun? Schauen wir, wie's die amerikanischen Finanzinstitute machen, hier sind einige Schlagzeilen ihrer Anzeigen:
  • "In markets like these, put YX's experience to work for you!"
  • "What 133 years of managing risk tells us about today: Our grow and protect philosophy has never been more right!"
  • "The key to navigating today's economy is to think long-term. After 120 years, it's second nature to us."
Und? Vertrauen zurück? Ich hab da meine Zweifel. Warum? Deshalb:
  • Lehman Brothers (gegründet 1850, am 15.9.2008 Gläubigerschutz beantragt, wird derzeit scheibchenweise verkauft)
  • Washington Mutual (gegründet 1889, am 25.9.2008 notfallmässig an J.P. Morgan verkauft)
  • Wachovia (gegründet 1879, am 29.9.2008 das Bankgeschäft notfallmässig an Citigroup verkauft)
Diese Beispiele machen deutlich: Alter schützt vor Torheit nicht. Auch im Bankwesen nicht!

Jahrelange Erfahrung ist zwar gut. Doch sie ist keine Garantie dafür, dass eine Bank auch in Zukunft alles richtig macht. Da helfen viel eher gutes Risikomanagement, eine nachhaltige Unternehmensstrategie und eine Entschädigungspolitik, die das Eingehen allzu grosser Risiken nicht noch fördert. Deshalb ist das Geld, das diese Anzeigen kosten, wohl aus dem Fenster geworfen. Mich haben sie auf jeden Fall nicht überzeugt.

Dienstag, 30. September 2008

In der Kreditklemme

Die Banken und andere grosse Investoren sitzen derzeit auf ihrem Geld. Sie haben Angst, dieses in Form von Krediten auszuleihen. Wer weiss schon, ob es je wieder zurück bezahlt wird? Ohne Kredite kommen aber in den USA immer mehr Unternehmen auch ausserhalb der Finanzindustrie und Privatpersonen ins Schwitzen.

Der Grund: Viele verlassen sich auf Kredite, um den Alltag zu finanzieren. Zahlreiche Unternehmen bezahlen zum Beispiel kurzfristige Verpflichtungen wie Löhne auf diese Weise (short-term IOU's). Einzelpersonen leisten sich das Haus, das Auto oder sogar die täglichen Ausgaben auf Pump. Nun bekommen sie die Kreditklemme schmerzhaft zu spüren.

Doch es gibt auch andere Beispiele. Seane Walsh etwa, Chef von Sixpoint Craft Ales, einer kleinen Bierbrauerei in Brooklyn, New York. Er habe das alles kommen sehen und sein Geschäft nie zu stark von Fremdkapital abhängig gemacht, erklärte er: "Wir haben die Kosten tief gehalten und die Gewinne reinvestiert. Wir sind ein solides Unternehmen."

Allerdings macht auch er sich langsam ein wenig Sorgen: Was, wenn seine Lieferanten plötzlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten? Oder die Kundschaft spart und weniger Bier trinkt? Die Folgen würde auch seine Brauerei zu spüren bekommen - trotz des konservativen Umgangs mit Geld. Umso wichtiger sei es deshalb, dass das Parlament in Washington D.C. das 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket in der einen oder anderen Form endlich durchwinke.

Sonntag, 28. September 2008

Living History

Am Montag vor zwei Wochen ging die 158-jährige Firmengeschichte von Lehman Brothers, der viertgrössten Investment-Bank der USA, abrupt zu Ende: Chapter 11-Verfahren, Gläubigerschutz, Verkauf von Firmenteilen, Entlassung einer grossen Zahl der Angestellten.

Auch wenn im hektischen Manhatten die letzten Spuren von Lehman Brothers schnell ausradiert werden (siehe Bild, der Schriftzug der Investment Bank unten an der Tafel ist nur noch schwach zu erkennen), ist der Untergang und vor allem das Schicksal der Lehman-Angestellten weiterhin ein Thema. Abends in der Bar, am Nebentisch im Restaurant oder manchmal sogar in der Subway. Man muss bloss die Ohren spitzen.

Nicht alle Angestellten waren sog. "Fat Cats", wie die superbezahlten Investment Banker der Wall Street im Jargon genannt werden. Es gab auch "normale" Angestellte: Buchhalter, Assistentinnen, Chauffeure etc. Auch sie hatten ihren Lohn und ihre Pensionsgelder zu einem guten Teil in Lehman-Papieren investiert. Das rächt sich nun und bringt wohl einige von ihnen in finanzielle Schwierigkeiten... Das lässt die New Yorker nicht kalt. Trotz allem.

Samstag, 27. September 2008

Von James Meredith zu Barack Obama

Die erste Fernsehdebatte der beiden Präsidentschaftskandidaten ist vorbei. Einen klaren Sieger gibt es nicht. Oder vielleicht doch?

Die amerikanische Gesellschaft darf sich als Gewinnerin fühlen. Fast auf den Tag genau vor 46 Jahren stand nämlich der Ort der Debatte - die University of Mississippi in Oxford - schon einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der 1.Oktober 1962 war der erste Studientag von James Meredith. 30'000 Bundessoldaten mussten den jungen Mann schützen, denn James Meredith war halb Choctaw-Indianer, halb Afro-Amerikaner, der erste farbige Student an der "Ole Miss".

Die weissen Rassisten schäumten, auch der damalige Gouverneur von Mississippi. Bei den anschliessenden Rassenkrawallen starben zwei Menschen, Hunderte wurden verletzt; Oxford wurde zum Symbol des offenen Rassismus.

Heute sind die Südstaaten-Flaggen auf dem Universitäts-Campus verschwunden, jeder und jede 5. Studierende gehört einer Minderheit an und in der Aula debattiert Barack Obama. Ein farbiger Politiker mit fremdländischem Namen gilt der halben Nation als Hoffnungsträger.

Auf der Titelseite des "Wall Street Journal"

Was für eine Woche für die Wall Street! Schon wieder, muss man sagen. Eine negative Nachricht jagte die andere: Washington Mutual verursacht die grösste Bankenpleite der Geschichte, eine andere US-Bank, Wachovia, sucht offenbar verzweifelt einen Retter und die Politik streitet sich über die Ausgestaltung des 700-Milliarden-Dollar-teuren Rettungsrings für die Finanzindustrie. Ein Gruseln und Grausen allenthalben!

Wirklich? Nicht ganz! Denn am Dienstag rieben sich wohl einige Leserinnen und Leser des "Wall Street Journal" verwundert die Augen. Wegen Eliana Burki. "When She Blows the Alphorn, It's not All Mountain Music" - mit diesen Worten war ein Artikel über die 25jährige Musikerin aus dem Kanton Solothurn überschrieben.

Eliana Burki trete in Minirock und mit zerrissenen Jeans auf und spiele mit dem Alphorn bravourös Jazz, Rock und Funk, schwärmt die Zeitung. Burki betrete mit dem Alphorn musikalisches Neuland und sei dabei nicht alleine. Das Alphorn sei in der zeitgenössischen Musik stark im Kommen.

Während ich mich als Schweizer in New York City aus patriotischen Gründen über diesen prominenten Auftritt meiner Landsfrau freue, wundere ich mich gleichzeitig über diese doch etwas eigenwillige Themensetzung des "Wall Street Journal" so mitten in der Finanzkrise. Bis ich umblättere und lese, dass Eliana Burki die Musik von Miles Davis liebe. Cool Jazz, also. Und "cool down" war wohl die versteckte Message an die hypernervösen Leserinnen und Leser des Blattes.

Donnerstag, 25. September 2008

"Opium fürs Volk" und "Reden ist Gold"

"The world turns upside down", die Finanzkrise in den USA wird den Steuerzahler über eine Billion Dollar kosten, zumindest mittelfristig, und die US-Politik ereifert sich über einige "wenige" hundert Millionen Dollar Boni für die CEOs. Es dürfe keine "goldene Fallschirme" für fehlbare Firmenchefs geben. Das stimmt - und man kann nur ein Ausrufezeichen hinter diesen Satz setzen - lenkt aber nur vom Hauptthema ab: 700 Milliarden Dollar, die der Steuerzahler berappen muss. Denn so viel soll allein das zur Zeit so heftig debattierte Rettungsprogramm kosten. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass mit einer Klausel gegen "goldene Fallschirme" im Rettungsprogramm die empörte "Main Street" ruhig gestellt werden soll. Opium fürs Volk.

John McCain will angesichts der grossen Krise nicht reden, sondern handeln. Er will die Präsidentschaftsdebatte verschieben und nach Washington fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Doch wann, wenn nicht jetzt, möchte man wissen, was der nächste Präsident zu tun gedenkt. In diesem Fall wäre Reden buchstäblich Gold wert.